Musste Jesus für unsere Sünden sterben?

Musste Jesus für unsere Sünden sterben?

Der folgende Artikel ist Teil einer Gesprächseinladung an die Bundesgemeinschaft über theologische Fragen. Wir als J17-Team der Geistlichen Gemeindeerneuerung wollen anhand der Buchveröffentlichung „Glauben, Lieben, Hoffen: Grundfragen des christlichen Glaubens verständlich erklärt“ (scm 2021), das von Bundesangestellten im GJW mit verfasst wurde, exemplarisch aufzeigen, wie grundlegend die theologischen Verschiebungen sind, mit denen wir es als Kirchenbund zu tun haben. Wir glauben, dass das Buch nur Entwicklungen aufgezeigt hat, die in unserem Bund vorhanden sind. Sie betreffen den Kern unseres Glaubens, den wir aus guten Gründen bewahren wollen. Um seine Grundlagen neu verständlich und fruchtbar zu machen, möchten wir in einen breiten Dialog eintreten. Hier gelangt ihr zur vollständigen Gesprächseinladung: gespraechseinladung_gge_mai22-4.pdf

Musste Jesus für unsere Sünden sterben?

Diese Frage führt zum Kern der Person Jesu (Christologie) und seines Heilshandelns (Soteriologie). Das Neue Testament beschreibt sehr facettenreich, wie es zur Kreuzigung Jesu kam und welche Auswirkungen dies hat: So triumphiert Christus durch seinen Tod am Kreuz über die finsteren Mächte, gibt uns ein eindrückliches Beispiel für das Ausmaß seiner Liebe und Selbsthingabe, tröstet mit seinem demütigen Vorbild alle zu Unrecht Leidenden, beweist wahre Solidarität mit Weinenden, Leidenden und Sterbenden, befreit vor dem Schrecken des Bösen und ermöglicht den Weg zu einem neuen gerechten Leben im Einflussbereich des Heiligen Geistes.

Einige dieser Motive werden von Matthias Drodofsky unter der Überschrift „Warum musste Jesus sterben?“ eindrücklich erörtert. Doch das stellvertretende Sühneopfer Jesu Christi, das nach einhelliger Überzeugung von Neuem Testament, langen Jahren insbesondere evangelisch-protestantischer Theologiegeschichte und auch der Rechenschaft vom Glauben das Herz des Evangeliums bildet, fehlt bzw. wird gar geleugnet, wie Beispiele aus dem Buch deutlich machen:

  • „Historisch betrachtet erfüllte sich also kein von jeher angelegter göttlicher Heilsplan … Niemand hätte sich angesichts des Sterbenden am Kreuz angemaßt, genau darin ein planvolles Handeln Gottes zu erkennen … Also: Jesus starb. Das war die Konsequenz seines Lebens. Punkt“ (Drodofsky, S. 66f).
  • „Insofern wusste Gott, dass Jesus sterben würde, weil jeder Mensch sterben muss … Dass das Sterben auf diese Art kam, lag wohl eher daran, dass Jesus sich während seines Lebens auf dieser Erde zu viele Feinde gemacht hatte“ (Werner, S. 83). Demnach hätten wir es bei dem Kreuzestod Jesu mit einem recht natürlichen Geschehen zu tun, das allein daraus resultierte, dass Jesus ein unbequemer Oppositioneller seiner Zeit war.

Dass Gott sein Strafgericht über unsere Sünde an seinem Sohn Jesus Christus vollziehen könnte, scheint für einige der Autoren hochproblematisch zu sein:

  • Die Vorstellung eines strafenden Gottes und die Notwendigkeit eines unschuldigen Opfers sei ein „Fehlverständnis“ (Mail, S. 127). Denn „um die Sünde der Menschen hinweg zu nehmen, braucht es eigentlich kein Opfer und keinen Geopferten … weil er ein gnädiger Gott ist, ohne dass Gott durch Töten und Blutvergießen milde gestimmt werden müsste“ (Drodofsky, S. 69).
  • So sei es ein „Missverständnis, dass nicht die Menschen die Sühne bräuchten, sondern Gott. […] Probleme bereitet die Vorstellung, dass Stellvertretung manchmal als Übernahme von Strafe interpretiert wird … Insgesamt wäre es für das Bild der Stellvertretung angemessener, nicht mehr von Strafe im juristischen Sinne zu sprechen, sondern von Sündenfolgen oder von Konsequenzen der Sünde. Dann geht es nicht um eine Übernahme von Strafe, sondern um die Übernahme der Konsequenzen“ (Schneider & Werner, S. 181f).

Im Gegensatz dazu ist das Neue Testament voller Aussagen zum stellvertretenden Leiden und Sterben Jesu im Sinne eines Sühnetods:

  • Jesus erlitt als Gerechter stellvertretend für die Ungerechten den Tod für unsere Sünden (1Petr 3,18) und löschte damit unseren Schuldsein (Kol 2,14), denn es ist sein „Blut des Bundes, das vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden“ (Mt 26,28 u.a.).
  • Jesus „wurde für uns zur Sünde gemacht“ (2Kor 5,21); wir werden durch Jesus Christus vom Zorn Gottes gerettet (Röm 5,9), weil Gott die Sünde in seinem eigenen fleischgewordenen Sohn verurteilt hat (Röm 8,3).
  • Das Neue Testament beschreibt eindrücklich Jesus Christus als unser geschlachtetes Passahlamm (1Kor 5,7), als Lamm Gottes zur Wegnahme der Sünde der Welt (1Joh 1,29), als Schlachtopfer für Sünden (Hebr 10,12) sowie als Opfergabe und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch (Eph 5,2). Allein in der Offenbarung wird Jesus 28x als Lamm bezeichnet und als geschlachtetes Lamm angebetet (Offb 5,12).
  • Diese Bildsprache befördert uns direkt in das Alte Testament und erklärt uns die Bedeutung und Funktion des Sterbens Jesu: In der Passaherzählung (2Mose 11) zeigt Gott sich als Richter, dessen gerechtes Strafgericht sicher kommen wird. Gleichzeit ist Gott der gütige Erretter, der aus Gnade einen Ausweg durch ein stellvertretendes Opferlamm anbietet. Wer Gott vertraute, suchte Zuflucht unter dem stellvertretenden Opfer, dem Blut des Lammes, sodass der Todesengel das Haus verschonte. Diesen Sinn bezieht Jesus bei seiner Passahfeier im letzten Abendmahl auf sein eigenes Sterben (Mt 26,17ff). Dieses Vokabular greift auch auf die Opferriten aus 3. Mose 1-7 zurück, in denen die verschiedenen Opfer als ein „wohlgefälliger Geruch für den HERRN“ dargebracht wurden. Anstelle des Sünders starb ein Opfer; Leben für Leben – Blut für Blut (3Mose 17,11). So wurde die Schuld vergeben, Gottes Zorn abgewendet und die Verantwortung für die Folgen unserer Sünden übernommen.
  • Das Sühneopfer ist notwendig, weil Gott damit das Problem unserer Entzweiung und Gottesferne löst und einen Ausweg aus unserem verlorenen Zustand schafft: „Ohne Blutvergießen gibt es keine Vergebung“ (Hebr 9,22). Das Gericht Gottes, das wir als von Gott getrennte Sünder verdient haben, hat Gott ein für alle Mal auf Christus gelegt (Röm 6,10; 7,27; 9,12; 10,10).
  • Dies hatte schon Jesaja im verheißenen Gottesknecht vorhergesehen, den einmal die Strafe für unsere Vergehen treffen wird (Jes 53,4-7). So erklärt Philippus dem interessierten Äthiopier das Evangelium von Jesus anhand dieser Schriftstelle (Apg 8,26ff).

Die Rechenschaft vom Glauben benennt diesen Zusammenhang sehr klar:

  • „Das Werk Jesu […] wurde vollendet in seinem Leiden und Sterben für alle Menschen. In Jesu stellvertretendem Tod für die Schuld der Menschheit aller Zeiten hat Gott sich uns erschlossen als der, der Liebe ist“ (RvG 1.1).
  • Die RvG beruft sich hier neben vielen anderen Bibelstellen auch auf Markus 10,45, wo Jesus seinen Tod selbst als „Lösegeld für viele“ deutet.

Wir sehen verhängnisvolle Konsequenzen auf unsere Gemeinden zukommen, wenn wir bereit sind, ein „Evangelium“ zu akzeptieren, das ohne Opfer und Stellvertretung auskommt. Das Kreuz ist weit mehr als ein pures „Zeichen“ der Liebe Gottes – Jesus musste tatsächlich für uns sterben, damit wir vom Tod gerettet und in eine lebendige Beziehung mit Gott gestellt werden können.