Müssen wir das Evangelium im Glauben annehmen?

Müssen wir das Evangelium im Glauben annehmen?

Der folgende Artikel ist Teil einer Gesprächseinladung an die Bundesgemeinschaft über theologische Fragen. Wir als J17-Team der Geistlichen Gemeindeerneuerung wollen anhand der Buchveröffentlichung „Glauben, Lieben, Hoffen: Grundfragen des christlichen Glaubens verständlich erklärt“ (scm 2021), das von Bundesangestellten im GJW mit verfasst wurde, exemplarisch aufzeigen, wie grundlegend die theologischen Verschiebungen sind, mit denen wir es als Kirchenbund zu tun haben. Wir glauben, dass das Buch nur Entwicklungen aufgezeigt hat, die in unserem Bund vorhanden sind. Sie betreffen den Kern unseres Glaubens, den wir aus guten Gründen bewahren wollen. Um seine Grundlagen neu verständlich und fruchtbar zu machen, möchten wir in einen breiten Dialog eintreten. Hier gelangt ihr zur vollständigen Gesprächseinladung: gespraechseinladung_gge_mai22-4.pdf

Müssen wir das Evangelium im Glauben annehmen?

Die zentrale Bedeutung des persönlichen Glaubens an Gott ist in unserem freikirchlichen Kontext und besonders unter uns Baptisten eigentlich nicht zu übersehen (vgl. z.B. die „Baptist Principles“, die weltweit Baptistengemeinden verbinden). Sein Stellenwert zeigt sich u.a. darin, dass Baptisten auf das persönliche Glaubensbekenntnis hin taufen, das allgemeine Priestertum aller Gläubigen praktizieren und die Gemeinschaft in der Gemeinde der Glaubenden suchen. Von dieser Tradition weicht Simon Werner in Glauben, Lieben, Hoffen massiv ab, wenn er Aussagen trifft wie:

  • „Das Heil für diese Welt ist wirksam vollbracht“ (S. 173).
  • „Gott hat durch Jesus Christus alles mit sich versöhnt … Mit unserer Entscheidung [für Jesus] bewirken wir niemals unser Heil“ (Werner, S. 173f).
  • Gottes „Liebe hat für uns die allumfassende Versöhnung geschaffen, und es gibt keinen Winkel mit Ausnahmefällen“ (S. 175).
  • „Alle Sünden sind vergeben, weil Gott sich in Jesus Christus daran gebunden hat“ (auch S. 178).
  • „Die Bitte um Vergebung ist kein Muss!“ (S. 178).
  • „Die Vergebung und Versöhnung Gottes mit den Menschen ist in Jesus Christus geschehen. Sie ist an keine Bedingung geknüpft, die wir Menschen erfüllen müssten“ (S. 189).

Dieses einseitige Verständnis der Versöhnung zieht sich wie ein roter Faden durch mehrere Kapitel, auch wenn Werner aus anderen Gründen für eine Entscheidung für Jesus wirbt (damit „das Evangelium in uns und durch uns Änderungen hier in dieser Welt und in unserem Leben bewirkt“, S.173). Heil und Versöhnung mit Gott sollen gewisserweise bereits für die Welt und den Einzelnen vollzogen sein, sodass Glaube und Umkehr keine zentrale Rolle für unser Heil spielen.

Dies steht im krassen Widerspruch zu unserem evangelischen Erbe, das an vielen Stellen von der Bedeutung des Glaubens spricht, z.B. in der Rede von der „Rechtfertigung aus Glauben“. Die Reformation hat dies im Grundsatz „sola fide“ gefasst, nach dem unser Heil, das einzig in Christus zu finden ist („solus Christus“), durch das Mittel des Glaubens angeeignet wird. Der Glaube ist notwendig, um die Gnade („sola gratia“) zu empfangen. Hierfür bedarf es einer bewussten und vertrauensvollen Umkehr zu Gott und zugleich einer Abwendung von der Sünde und einem Leben, das Gott entgegensteht. Faktisch erlebt ein Mensch seine Vergebung also erst im Kontext seiner Neugeburt, die durch die bewusste Annahme des Glaubens möglich wird.

Diese Überzeugung der Erlösung allein durch Glauben an Christus wird uns im Neuen Testament in aller Klarheit bezeugt:

  • Ausschließlich denen, die Jesus Christus aufnehmen, wird das Privileg verliehen „Kinder Gottes zu werden, denen die an seinen Namen glauben“ (Joh 1,12).
  • Paulus bezeichnet das Evangelium als „Kraft Gottes zum Heil jedem Glaubenden“ (Röm 1,16), durch das Gott „den rechtfertigt, der des Glaubens an Jesus ist“ (Röm 3,26), und betont die Notwendigkeit des Glaubens gleich doppelt, wenn er von „Gottes Gerechtigkeit“ schreibt als „durch Glauben an Jesus Christus für alle, die glauben“ (Röm 3,22). Später präzisiert er: „Das ist das Wort des Glaubens, das wir predigen, dass, wenn du mit deinem Mund Jesus als Herrn bekennst und in deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn aus den Toten auferweckt hat, du gerettet werden wirst“ (Röm 10,9-10).
  • Jesus behauptet nach dem Johannesevangelium von sich selbst: „Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat“ (Joh 3,16), was Johannes der Täufer kurz danach bestätigt: „Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben; wer aber dem Sohn nicht gehorcht, wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt auf ihm“ (Joh 3,36).
  • Dabei stellt Paulus klar, dass es sich bei diesem Glauben nicht um ein Werk handelt, durch das wir uns die Versöhnung verdienen oder unser Heil bewirken könnten, sondern dass „ihr aus Gnade durch Glauben gerettet seid, und das nicht aus euch“ (Eph 2,8, vgl. Gal 2,16).

Uns bleibt deshalb keine andere Schlussfolgerung, als „dass der Mensch durch Glauben gerechtfertigt wird, ohne Gesetzeswerke“ (Röm 3,28) – ohne Mitwirkung am Heil, aber eben auch nicht ohne diesen empfangenden Glauben.

Entsprechend dieser neutestamentlichen Linien formuliert die Rechenschaft vom Glauben:

  • „Durch den Glauben an Jesus Christus wird der Mensch vor Gott gerecht und Gottes Kind“ (RvG 1.3).
    Zugleich wird an dem biblischen Prinzip festgehalten, dass „Glaube keine Leistung des Menschen [ist], sondern Annahme der Gnade Gottes“ (RvG 1.2).
  • „Jeder, der sich in Buße und Glauben zu Gott hinwendet, empfängt Vergebung seiner Schuld und ewiges Leben. Gott erwartet von jedem die Antwort des Glaubens, zu der er ihn durch seinen Geist befähigt“ (RvG 2.1.3).
  • Die RvG widerspricht ausdrücklich einem einseitigen Verständnis von Versöhnung und lässt den Leser nicht im Unklaren darüber, welche schlechte Nachricht für die gilt, die sich weigern, Gott zu glauben und zu vertrauen: „Wer Gottes Angebot der Gnade und Vergebung ausschlägt, bleibt unter dem Zorn und Urteil Gottes, verwirkt das ewige Leben und verschließt sich in die selbst gewählte Gottesferne. Der Unglaube führt in das ewige Verderben; wer aber Gottes Urteil über seine Sünden und das Angebot der Gnade annimmt, ergreift das ewige Leben, das Christus uns erworben hat“ (RvG 1.2).

Dagegen wird in Glauben, Lieben, Hoffen vielfach von einer Allversöhnung ausgegangen, die ohne den Glauben als Voraussetzung auskommt (vgl. Zitate oben). Hamp stellt immerhin verschiedene Lösungen für das Endgericht dar, ohne dieses in den Bereich des Mythischen zu verbannen (Hamp, S. 240f). Sein Text endet mit einer Hoffnung auf eine Allversöhnung, ohne den „doppelten Ausgang“ (oder die Annihilation) komplett auszuschließen. Sein Versuch, eine fundierte Antwort auf die Frage zu geben, was mit Menschen geschieht, die nie von Jesus gehört haben (Hamp, S. 247), ist positiv hervorzuheben.

Doch auch hier kommt es zu keinem klaren Bekenntnis zur Rechenschaft vom Glauben, die analog zu ihren Aussagen im 1. Teil (s.o.) im 3. Teil bezüglich der Zukunft festhält:

  • „Wer Gottes Liebe verwirft, den wird Gott verwerfen“ (RvG 3.2).

Diese Position der RvG entspricht klaren biblischen Aussagen, die sich im Neuen Testament finden, z.B.:

  • 2Thess 1,8f warnt vor dem „ewigen Verderben“ für diejenigen, die Gott nicht kennen und Jesus nicht folgen wollen.
  • Jesus selbst hat eindeutig von der reellen Gefahr einer ewigen Strafe und Trennung von Gott gesprochen, z.B. in Mt 25,41, wo ein Teil der Menschen gemeinsam mit dem Teufel und seinen Engeln in das „ewige Feuer“ eingeht.
  • In der Offenbarung findet sich am Ende die deutliche Scheidung in die Menschen, die in die himmlische Stadt eingehen, und diejenigen, die nicht hineindürfen, sondern stattdessen in den Feuersee kommen (Offb 20,15; 21,8).

Wer die Bibel als Gesamtwerk ernst nimmt, wird nicht um die Herausforderung herumkommen, dass uns keine von Glaube und Gnade befreite ewige Errettung aller Menschen zugesagt ist. Die Lehre der Allversöhnung hat tiefgreifende Folgen für die Gemeindepraxis. So fehlt jegliche Dringlichkeit zum missionarischen Aufruf in die Nachfolge Jesu. Hier sehen wir einen fundamentalen Unterschied zur Mission bei den Aposteln oder Jesus selbst, wo es um eine Entscheidung mit Ewigkeitsrelevanz geht. Wir können auch beobachten, dass stark allversöhnerisch geprägte Kirchen jegliche missionarische Kraft verloren haben und insgesamt immer irrelevanter werden, mittelfristig gesehen auch in ihrer gesellschaftlichen Prägekraft.

Zudem ist die Gerechtigkeit Gottes unter einer Perspektive der Allversöhnung kaum zu ertragen: Gott würde allen ihre Sünden einfach so erlassen, ohne dass Böses gestraft würde, und jedem seine Gerechtigkeit angedeihen lassen, ob er will oder nicht, und ihm ein ewiges Leben überstülpen. Dieses Verständnis einer Prädestination zum Heil auch gegen den erklärten Willen kann kaum mit einem Bild von einem gerechten oder auch liebenden Gott in Einklang gebracht werden. Was wäre das für eine Liebe, die uns hier zu jeder Sünde ermächtigt, aber dann unseren Willen bewusst übergeht und uns in eine ewige Gemeinschaft zwingt?

Letztlich gibt es aber nur einen zwingenden Grund, eine sichere Allversöhnung abzulehnen: Die Bibel verspricht sie nicht. Wenn wir es trotzdem tun, wägen wir Menschen in falscher Sicherheit. Wenn das Neue Testament unsere „Autorität und Normativität … für Leben und Lehre“ ist (RvG 1.6), müssen wir auch die Lehren vom Gericht Gottes ernst nehmen. Wir können anderen Menschen nur eine echte Hilfe sein, wenn wir ihnen den Weg zu Gott zeigen, den er selbst uns gezeigt hat, und keine falschen Versprechungen machen. Nur so können sie in den Genuss der realen Versöhnung mit Gott gelangen. Die beschriebenen Verschiebungen in Soteriologie und Rechtfertigungslehre rühren an den innersten Kern des Evangeliums und verstellen den Weg zu Gott.