Ehe, Scheidung, Wiederheirat

Ehe, Scheidung, Wiederheirat

Aus dem Archiv von 2016. Unter dem Artikel verlinke ich noch weitere aktuellere Videos von mir zu dieser Thematik.

Über viele Wochen und Monate habe ich mich mit den Themen Ehebund, Scheidung und Wiederheirat beschäftigt. Sowohl exegetisch als auch seelsorgerlich. In einer mehrwöchigen Bibelstudienreihe habe ich systematisch zentrale biblische Aussagen zu diesen drei Themengebieten mit meiner Gemeinde betrachtet. Da bereits wiederholt um meine Ausführungen gebeten wurde, stelle ich eine Zusammenfassung meiner Ergebnisse an dieser Stelle zur Verfügung.

Zuallererst soll es einleitend um den Ehebund als Solches gehen.

Ehebund

Die Ehe hat in der gesamten Schrift einen hohen Stellenwert. Beginnend mit der Genesis schuf Gott „Mann und Frau“ (Gen 1,27) füreinander als Gegenüber, damit „der Mensch nicht allein sei“ (Gen 2,18). Als Höhepunkt der Schöpfung gilt die von Gott verordnete Vereinigung zwischen Mann und Frau in der Ehe: „Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhängen, und sie werden zu einem Fleisch werden“ (Gen 2,24). Einmal eingesetzt legt die Heilige Schrift großen Wert darauf, dass Gottes wohlwollendes Geschenk nicht missbraucht wird. Um die Bewahrung der Ehe zu gewährleisten wurden Gebote, Warnungen und Weisungen gegeben, weswegen die Ehe im Dekalog besonders gewürdigt und geschützt wird (Ex 20,14.17). Jesus bestätigt die göttliche Einsetzung der Ehe als Schöpfungsordnung (Mt 19,4ff) und ebenfalls den Willen Gottes der Bewahrung der Ehe (Mt 5,27) sowie ihre prinzipielle Unauflöslichkeit. Paulus verweist auf die tiefgreifende Vereinigung (Eph 5,31) und betrachtet die Ehe als grundsätzlich unzertrennliche Einheit, bis dass der Tod die Eheleute scheidet (Röm 7,2).

Die Ehe ist eine lebenslange Verbindung zwischen Mann und Frau, dessen Auflösung zu Lebzeiten vonseiten Gottes nicht vorgesehen ist (Mt 22,23ff). Weil Gott selbst die Ehe gestiftet hat, gleicht die Ehe in ihrem Wesen einem göttlichen Bundesschluss und nicht lediglich einem zwischenmenschlichen Vertrag, welcher der menschlichen Beliebigkeit ausgesetzt ist. Aus diesem Grund betont Jesus in Fragen, welche die Ehe betreffen, dass die Einheit von Mann und Frau als Vereinigung insbesondere vor Gott Gültigkeit hat: „Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden“ (Mt 19,6). In der Sichtweise Jesu spiegelte sich demzufolge alttestamentliches Gedankengut wieder: „Gott ist Zeuge gewesen zwischen dir und der Frau deiner Jugend, an welcher du treulos gehandelt hast, da sie doch deine Gefährtin und die Frau deines Bundes ist“ (Mal 2,14). Schon im Alten Testament wird der Ehebund dadurch aufgewertet, indem sinnbildlich Jahwe als Bräutigam und Gottes Volk als Braut bezeichnet wird (vgl. Jes 62,5; Hos 1-3). Untreue gegenüber Gott kann folglich wiederholend mit dem Vergleich ehelicher Untreue veranschaulicht werden. „Der Bund der Ehe wird geradezu zum Vorbild des Bundes, den Gott mit uns schließen will“ (Thomas Schirrmacher). So kann Paulus den ehelichen Bundesgedanken völlig unproblematisch auf die Bundesbeziehung zwischen Christus und seiner Gemeinde beziehen (Eph 5,32f).

Durch solch eine Wertschätzung des Ehebundes, welcher zu einem gewissen Grade Gottes Charakter offenbart und die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk abbildet, muss zwangsläufig alles Nachdenken über eine Trennung des im Angesicht Gottes unwiderruflich geschlossenen Bundes achtsam und überlegt erfolgen.

Aus der Betrachtung des Ehebunds wird ersichtlich, dass nunmehr nicht erörtert werden kann, ob der Bund der Ehe gebrochen werden darf, „sondern wann der Bund gebrochen ist und was dann geschehen darf oder soll“[1]. Konkret gefragt: Gibt es für Menschen christlichen Glaubens biblisch legitimierte Scheidungsgründe?

Scheidung

Mt 19,3-10 berichtet, dass Jesus durch die Pharisäer herausgefordert wurde, Stellung zur damaligen Scheidungspraxis zu beziehen, um ihn dazu zu bringen, Mose bzw. dem mosaischen Gesetz zu widersprechen. Statt direkt zu antworten, bezichtigt Jesus die Pharisäer der Unwissenheit und verweist aufgrund des dramatischen Missbrauchs seiner Zeit auf den Ursprung des alttestamentlichen Gesetzes (vgl. auch Mk 10,11f; Lk 16,17f).

Im weiteren Verlauf der Debatte zwischen den Pharisäern und Jesus gilt als zentrale alttestamentliche Passage Deut 24,1-4. Obwohl Gott gebietet, dass sein Volk sich nicht scheiden lassen soll, gilt laut Mose als Grund für eine legitime Scheidung: „weil er [d.i. der Ehemann] etwas Anstößiges an ihr [d.i. die Ehefrau] gefunden hat“. Dies ermächtigte den Ehemann zur rechtsgültigen Aushändigung eines sogenannten „Scheidebriefs“. Diese alttestamentliche Passage ist im Lichte von Mt 19 als „Billigung der Scheidung mit Scheidebrief“[2] zu verstehen und nicht als eine gottgebotene Einsetzung der Scheidung. „Scheidung und Wiederheirat werden damit nicht generell gestattet, sondern als Übel vorausgesetzt und deren Auswüchse geregelt.“[2] Mose führte demnach nicht die Scheidung ein, sondern legte in einer Notordnung lediglich Rahmenbedingungen fest, bei denen der Scheidebrief die endgültige Trennung und offizielle Aufhebung des Ehebundes besiegelte.

Tatsächlich birgt das sogenannte עֶרְוָה „Anstößige“ (oder auch: Schandbare, schamwürdige Sache) als genannter Scheidungsgrund einige Übersetzungsschwierigkeiten in sich. Bereits zur Zeit Jesu existierten unterschiedliche Deutungs- und Auslegungsvarianten des genannten Scheidungsgrundes. Für die jüdische Schulrichtung Hillel galt „jede Ursache“, die dem Mann missfiel, als עֶרְוָה und damit als Scheidungsgrund. Die Schule Schammais hingegen betrachtete nur gravierende Taten wie Ehebruch als Rechtfertigung für eine Scheidung. Einige Kommentatoren wenden ein, dass bei עֶרְוָה nicht von Ehebruch die Rede sein kann, da laut mosaischem Gesetz auf Ehebruch die Todesstrafe folgte (Lev 20,10; Deut 22,22), wobei ungeklärt bleibt, ob diese Regelung auch wirklich praktiziert wurde. Jürgen Kuberski hält dem überdies entgegen:

„Der hebräische Ausdruck wird verschieden übersetzt und bedeutet wörtlich ‚Blöße einer Angelegenheit‘ oder ‚Nacktheit einer Sache‘, wobei ‚Blöße‘ zumeist die Schamgegend eines Menschen umschreibt, und ‚die Blöße aufdecken‘ oft für Geschlechtsverkehr steht (3. Mose 18,8 ff.). Daraus wird deutlich, dass es sich bei der ‚schamwürdigen Sache‘ […] um eine (sündhafte) Handlung der Frau auf sexuellem Gebiet [handelt].“

Es scheint, dass Kuberskis Auslegung innerbiblisch das stärkste Echo findet und besonders in den alttestamentlichen Prophetentexten konsistent nachhallt. So spricht Jahwe durch den Propheten Jesaja, dass die nicht näher definierten Verbrechen Israels Gott dazu veranlassten, sein Volk mit einem „Scheidebrief“ zu entlassen (Jes 50,1). Der Prophet Jeremia wird hingegen deutlicher: „Und sie sah auch, dass ich Israel, die Abtrünnige, eben deshalb, weil sie die Ehe gebrochen, entließ und ihr den Scheidebrief gab“ (Jer 3,8a). Zuvor vergleicht Jeremia am Anfang des dritten Kapitels die Beziehung Gottes zu seinem Volk mit der Ehebeziehung. Im Bild gesprochen kann Gott seine Frau Israel aufgrund von Ehebruch [sic] entlassen und ihr einen Scheidebrief auszustellen. Auf ähnliche Weise bewertet der Prophet Hosea die Untreue Israels, indem vermutlich eine typische Formulierung des Scheidebriefs zitiert wird: „Rechtet mit eurer Mutter, rechtet! – denn sie ist nicht meine Frau, und ich bin nicht ihr Mann –, damit sie ihre Hurerei von ihrem Gesicht entfernt und ihren Ehebruch zwischen ihren Brüsten“ (Hos 2,4). Auch der Prophet Maleachi beklagt die eheliche Treulosigkeit, die zur Scheidung führen kann: „Und an der Frau deiner Jugend handle nicht treulos! Denn ich hasse Scheidung“ (Mal 2,15f). Die stichhaltige innertestamentliche Auslegungsgeschichte belegt, dass der Scheidebrief als eine „nachträgliche juristische Feststellung der eigentlichen Sünde des Ehebruchs und der Treulosigkeit“[1] zu betrachten ist.

Mose und die Propheten gingen demnach von einem lebenslangen Ehebund aus, welcher sowohl Privilegien als auch Verpflichtungen als integrale Bestandteile aufweist und durch schwerwiegende Verletzungen der Bundesverpflichtungen gebrochen werden kann. (Kuberski und Schirrmacher verweisen richtigerweise darauf, dass die Scheidung illegitimer Ehen laut Esra 10,3 „nach dem Gesetz“ nicht bloß erlaubt, sondern auch angeordnet werden konnte.) Kuberski resümiert deshalb folgerichtig: „Wenn eine Scheidung aufgrund der Verletzung des Ehebundes nicht möglich wäre, hätte der Vergleich der Propheten keinen Sinn gehabt.“[2] Dadurch dass Jahwe selbst seinem Volk allegorisch den Scheidebrief aufgrund von Ehebruch aushändigt, kann einem betrogenen Partner, der die zerbrochene Ehe – aufgrund sexueller Untreue – juristisch aufzulösen sucht, nicht kategorisch eine Scheidung abgesprochen werden. Die nachfolgende Betrachtung wird zeigen, dass Jesu Anweisungen sowohl in Mt 19,3ff als auch in Mt 5,31f nicht als Außerkraftsetzung der mosaischen Notordnung, sondern als autoritativ-richtige Auslegung des Gesetzes zu verstehen ist.

Weil Markus und Lukas lediglich ein absolutes Scheidungsverbot Jesu überliefern, genießt besonders die sog. Ausnahme- bzw. Unzuchtsklausel aus Mt 5,32 und Mt 19,9 viel Aufmerksamkeit in der Debatte. Die Wortwahl unterscheidet sich in den beiden Passagen nur geringfügig:

  • Mt 5,32: „außer aufgrund von Hurerei“ – παρεκτὸς λόγου πορνείας
  • Mt 19,9: „außer wegen Hurerei“ – μὴ ἐπὶ πορνείᾳ

Die Diskussion behandelt zu weiten Teilen die Interpretation und Bedeutung des verwendeten griechischen Begriffes πορνεία (porneia) in Abgrenzung zum verwandten Begriff μοιχεία (moicheia). Da vielfach die beiden Begriffe in vorehelichen (πορνεία) und außerehelichen (μοιχεία) Geschlechtsverkehr kategorisiert werden, lautet eine gängige These: Hätte Matthäus auf die Möglichkeit der Scheidung eines bereits vollzogenen Ehebundes aufgrund von Ehebruch hinweisen wollen, hätte er mühelos μοιχεία anstatt πορνεία verwenden können. Die wiederholte Verwendung des πορνεία-Begriffs lege daher nahe, lediglich von Verlobungsdelikten [sic] auszugehen. Ganz davon abgesehen, dass „für Verlobte und Verheiratete dieselben Gesetze galten“[2] (vgl. Deut 22,23-24) und Jesus in Mt 19 mit (i.d.R. verheirateten) Pharisäern über Scheidungsgründe Verheirateter [sic] debattierte, ist es lohnenswert den Begriff πορνεία näher zu betrachten. Tatsächlich wird πορνεία (besonders unter Berücksichtigung der Septuaginta) für sexuelle Zügellosigkeit jedweder Art verwendet. So wird der Geschlechtsverkehr einer Frau mit einem fremden Mann als πορνεία angesehen (Vgl. Hos 3,3; Jer 3,6.8; Hes 23,19; Ps 106,39). Auch die auf Erwerb ausgerichtete Geschlechtlichkeit einer Prostituierten ist als πορνεία zu bezeichnen (Vgl. Lev 21,7; Jos 2,1; Ri 11,1; 16,1; 1Kön 3,16; 1Kor 6,13-18). πορνεία umfasst darüber hinaus uneheliche Geburten (Joh 8,41) und Inzest (1Kor 5,1). Nichtjüdische Christen werden in Apg 15,20 ermahnt, sich von πορνεία fernzuhalten. Sollte sich tatsächlich ein solch generelles Gebot lediglich an Unverheiratete richten? Israel wird wiederholt der geistlichen Prostitution und des Ehebruchs in Form von Götzendienst beschuldigt (Jer 3,8f; Jer 13,27a; Hos 2,4; 4,12-14). Hierbei werden die Begriffe πορνεία und μοιχεία derart synonym [sic] gebraucht, dass eine unverkennbare inhaltliche Kontinuität besteht. πορνεία beinhaltet mit Sicherheit den Treuebruch von Verlobten, jedoch kann er nicht auf den Verlobungsbruch begrenzt werden, sodass es als legitim erscheint, das Vergehen aus Mt 5.19 „als außereheliche[n] Geschlechtsumgang der Frau zu verstehen“[3]. Es liegt nahe, dass Jesus den Begriff πορνεία anstatt μοιχεία als legitimen Scheidungsgrund verwendete, weil zum einen πορνεία der geläufigere Begriff war, um die sexuelle Untreue einer Frau zu beschreiben, zum anderen πορνεία ähnlich weit zu interpretieren ist wie das „Anstößige“ (עֶרְוָה ) aus Deut 24. Schirrmacher fasst folgerichtig zusammen:

„Jesus sagt also weder, dass jede Ursache ein Scheidungsgrund sei, noch daß es keinen Scheidungsgrund gebe, sondern, daß alle Scheidungsgründe außer Unzucht nicht zulässig sind.“

In solchen Fällen kann demnach nicht davon die Rede sein, dass die Scheidung den Ehebund bricht, sondern stattdessen lediglich offiziell erklärt, dass die Ehe im Voraus bereits geschieden wurde.

„Der Bruch der Ehe wird durch den geschlechtlichen Verkehr mit einem anderen als dem Ehepartner vollzogen. Findet dieser Bruch vor der Scheidung statt („bei Ehebruch“), ist deswegen die Ehe gebrochen und kann als amtliche Feststellung des bereits geschehenen Bundesbruches geschieden werden. Lag aber kein Ehebruch vor und findet der Geschlechtsverkehr erst in einer erneuten Ehe oder sexuellen Beziehung nach der Scheidung statt, ist diese neue Ehe der Moment des Ehebruchs.“[1]

Jesus lehrt in Übereinstimmung mit Mose und den Propheten eindeutig, dass Scheidung und Wiederheirat in Anbetracht der Schöpfungsordnung ausgeschlossen und damit Kennzeichen „harter Herzen“ sind. Dennoch macht Jesus zusammen mit Mose limitierte Zugeständnisse, da „Herzenshärtigkeit“ mit dem Kommen Jesu Christi nicht aufgehört hat zu existieren. Auch heute noch stehen Männer und Frauen vor den gleichen Fragen, was im Falle von Untreue und ehelichem Betrug geschehen kann. Der betrogene Partner ist demnach berechtigt (nicht verpflichtet), den durch Ehebruch zerstörten Ehebund öffentlich-rechtlich aufzulösen.

Auch der Apostel Paulus betrachtet in Röm 7 und 1Kor 7 das Themengebiet der Ehescheidung. Dabei ist bemerkenswert, dass der Römerbrief keinerlei Ausnahmen und Zugeständnisse für eine Scheidung thematisiert. In Röm 7,2f vergleicht Paulus die Ehe mit dem alttestamentlichen Gesetz. An beides ist der Mensch lebenslänglich gebunden, sodass die Bindung sich erst mit dem Tod auflöst. Da kein berechtigter Scheidungsgrund angeführt wird, scheint es, als würde Paulus in Übereinstimmung mit Mk 10 und Lk 16 eine Scheidung kategorisch ablehnen. Dies lässt sich jedoch anhand des Kontextes erläutern. Paulus beantwortet nicht in erster Linie (wie Mt oder 1Kor) ethische Fragestellungen, sondern erläutert die Folgen der Glaubensgerechtigkeit und damit die neue Freiheit eines Christen von der Macht des Todes (Kap. 5), der Sünde (Kap. 6) und schließlich des Gesetzes (Kap. 7). Die Ehe(scheidung) wird von Paulus als bildlicher Vergleich für einen ganz konkreten Sachverhalt verwendet: Die Wirksamkeit und Gültigkeit des Gesetzes. „Die Erwähnung einer Ausnahme [würde] den Gedankengang stören.“[2]

Auch 1Kor 7,10f enthält für gläubige Eheleute keine Möglichkeit sich voneinander zu scheiden. Es handelt sich hierbei um eine ziemlich exakte Wiedergabe der grundlegenden Lehre Jesu zum Thema Ehescheidung und verbietet demnach alle Scheidungen aus illegitimen Gründen. (Hierbei gilt zu beachten: „Wenn Paulus hier im Einklang mit Jesus steht, dann kann sich diese Verpflichtung zur Versöhnung nur auf eine Scheidung beziehen, die nicht aufgrund von Unzucht bzw. Ehebruch zustandekam.“[1]) Paulus lehnt genau wie Jesus die Scheidung grundsätzlich ab, weil sie dem Ideal des vor Gott geschlossenen Ehebundes nicht gerecht wird. Und dennoch nennt Paulus in den Versen 12-16 „zumindest einen Grund, aufgrund dessen eine Scheidung berechtigt ist“[2] und führt dabei sogar eine Ausnahme an, die Mt, Mk, Lk und Röm unbekannt ist. War der Mensch noch laut Röm 7,2 bis zum Tod an seinen Ehepartner „gebunden“ (δέδεται), verdeutlicht 1Kor 7,15 hingegen, dass dieser ewige Bund der Ehe aufgelöst werden kann, wenn „der ungläubige Ehepartner die Ehe nicht weiterführen will“[2], sodass der Bruder/Schwester fortan „nicht gebunden/versklavt“ (δεδούλωται). Paulus bewegt aufgrund der individuellen Situation in Korinth spezifische Fragen. (In Korinth gab es auf dem geschlechtlichen Gebiet sowohl Exzesse (1Kor 5,1) als auch übertriebene eheliche Askese (1Kor 7,1).)

„Jesus erwähnt die Scheidung aufgrund des Heidentums des Ehepartners ebensowenig wie Paulus die Scheidung aufgrund von Unzucht. Beide Scheidungsgründe sind aber alttestamentlich verankert und wurden nur deswegen jeweils nicht angesprochen, weil das entsprechende Problem nicht zur Diskussion stand.“[1]

In einem letzten Schritt widmen wir uns vielleicht der interessantesten Frage: Ist es legitim als geschiedener Christ eine neue Eheverbindung einzugehen?

Wiederheirat

Eine Wiederheirat als biblisch legitimierte Möglichkeit zu erachten, ergibt sich aus dem Verständnis, ob eine Ehe in den Augen Gottes tatsächlich und endgültig geschieden werden kann, sodass eine weitere Eheschließung die erste Ehe nicht mehr bricht. Die Scheidung wird ja gerade deshalb vonseiten Jesu durch die Ausnahmeklausel gebilligt, weil der Ehebund faktisch zerstört bzw. aufgelöst werden kann. Jesus würde keine Notordnung akzeptieren, indem der betrogene Partner berechtigt ist, den durch πορνεία zerstörten Ehebund rechtlich aufzulösen, wenn das Ehepaar vor Gott insgeheim doch noch „ein Fleisch“ wäre. Würde trotz πορνεία der Ehebund dennoch vor Gott bis in alle Ewigkeit bestehen, dann dürfte Jesus für eine konsistente Argumentationskette im Matthäusevangelium keinen legitimen Scheidungsgrund nennen. Darum ist die vieldiskutierte Ausnahmeklausel m.E. nur dann (inhaltlich und grammatikalisch) verständlich, wenn sich die Einschränkung aufgrund von πορνεία nicht bloß auf die Scheidung, sondern ebenfalls auf eine mögliche Wiederheirat bezieht. Würde man nämlich den Aspekt der Wiederheirat entnehmen, würde die Aussage Jesu keinen Sinn ergeben.

  • Jesus sagt in Mt 19,9:
    „Wer immer seine Frau entlässt, außer wegen Hurerei,
    und eine andere heiratet, begeht Ehebruch.“
  • Jesus sagt nicht:
    „Wer immer seine Frau entlässt, außer wegen Hurerei,
    begeht Ehebruch.“

Geschiedene können nicht automatisch als Ehebrecher betrachtet werden. Erst der punktuell-außereheliche vollzogene Geschlechtsverkehr bricht die Ehe. Diese Passage belegt, dass niemand lediglich aufgrund einer Scheidung des Ehebruchs zu beschuldigen ist, weswegen die Wiederheirat als logische Konsequenz bei der Ausnahmeklausel mitgedacht werden muss. Ja, Geschiedene machen sich prinzipiell bei einer Wiederheirat des Ehebruchs schuldig, außer [sic!] die Scheidung erfolgte aufgrund von πορνεία. D.A. Carson beschreibt diesen Sachverhalt folgendermaßen:

„[…] if the remarriage clause is excluded, the thought becomes nonsensical: ‘Anyone who divorces his wife, except for porneia, commits adultery’―surely untrue unless he remarries. The except clause must therefore be understood to govern the entire protasis. We may paraphrase as follows: ‘Anyone who divorces his wife and marries another woman commits adultery―though this principle does not hold in the case of porneia.’”

Wurde demnach ein geschiedener Partner in der Ehe betrogen, liegt bei erneuter Heirat des Betrogenen kein Ehebruch vor,

„denn seine vorige Ehe war vor Gott geschieden. Es ist dasselbe, wie wenn seine vorige Frau wegen Geschlechtsverkehr mit einem anderen gesteinigt worden (vgl. 3. Mose 20,10) und somit tot wäre. Die im mosaischen Gesetz im Fall von Ehebruch gebotene Steinigung war in Israel zur Zeit Jesu wegen der Abhängigkeit von der Gesetzgebung der Römer in der Praxis nicht möglich.“ (Herbert Jantzen)

In 1Kor 7,10f schildert der Apostel Paulus eine Situation geschiedener Christen, bei der jene zwar als „unverheiratet“ bezeichnet werden, aber keine Freiheit zur Wiederheirat erhalten. Es ist offensichtlich, dass kein legitimer Scheidungsgrund wie πορνεία vorliegt, womit der Ehebund als nicht gebrochen gilt und Mann und Frau trotz Scheidung vor Gott noch aneinander gebunden sind solange sie leben (1Kor 7,39). Paulus erwähnt in solchen Fällen die Möglichkeit der Ehelosigkeit oder die Versöhnung derselben.

Anders zu beurteilen ist jedoch die Ehebeziehung zwischen einem Christen und einem Ungläubigen: „Wenn aber der Ungläubige sich scheidet, so scheide er sich. Der Bruder oder die Schwester ist in solchen Fällen nicht gebunden/versklavt (δεδούλωται)“ (1Kor 7,15). Mir scheint, dass die δουλόω-Wortgruppe aufgrund des Kontextes Verwendung findet (siehe den ungewöhnlich großen Einschub/Exkurs in 1Kor 7,17-24). Der Christ soll demnach die Scheidung, ebenso wie die Befreiung aus dem Sklavenstand (1Kor 7,21), nicht vorantreiben. Schließlich werde der ungläubige Partner durch die Ehe aufgewertet, weil die Ehe unter dem Einfluss des Evangeliums steht. Paulus wehrt sich gegen eine Vorstellung, dass eine Ehe mit einem Ungläubigen einem Christen die Heiligkeit rauben oder mindern könne. Die Verbundenheit hat vielmehr eine heiligende Wirkung auf den ungläubigen Partner und die Kinder. Dennoch gilt: Ist der ungläubige Partner nicht Willens die Ehe fortzusetzen, hat der Christ die Möglichkeit ohne schlechtes Gewissen in die Scheidung einzuwilligen.

Nun stellt sich die Frage, ob die Nicht-Gebundenheit aus 1Kor 7,15 neben der Freiheit zur Scheidung ebenfalls die Freiheit zur Wiederheirat impliziert. Im siebten Kapitel des ersten Korintherbriefs strukturiert Paulus seine ethischen Ehe-Richtlinien wie folgt:

  • Ab V. 8 = Unterweisung an Unverheiratete/Witwen
  • Ab V. 10 = Unterweisung an Verheiratete (gläubig-gläubig)
  • Ab V. 12 = Unterweisung an Verheiratete (gläubig-ungläubig)
  • Ab V. 25 = Unterweisung an Jungfrauen

Obwohl Paulus bereits ab V. 25 dezidiert „über die Jungfrauen“ schreibt, fügt Paulus in V. 27-28a einen bemerkenswerten Einschub ein:

„(27) Bist du an eine Frau gebunden, so suche nicht los/frei (λύσιν) zu werden; bist du los/frei (λέλυσαι) von einer Frau, so suche keine Frau! (28) Wenn du aber doch heiratest, so sündigst du nicht;

und wenn die Jungfrau heiratet, so sündigt sie nicht.“

Paulus erweckt den Eindruck, dass, ehe er den Jungfrauen spezifische Ratschläge weitergibt, die bereits vorab formulierten Grundsätze seiner Überzeugung wiederholt. Es ist offenkundig, dass diese Worte sich nicht allesamt auf die Jungfrauen beziehen können, da „gebunden-sein an eine Frau“ und „los-sein von einer Frau“ nur Verheiratete betreffen kann. „Suche nicht los/frei (λύσιν) zu werden“ scheint demnach ein logischer Rückgriff auf die Anweisung aus V. 12-16 zu sein, bei dem Paulus den Verheirateten rät, keine Scheidung von ihrem ungläubigen Partner zu forcieren. Paulus bescheinigt jedoch allen, die derart legitim „los/frei (λέλυσαι) von einer Frau“ d.h. aus einer bestehenden Verbindung gelöst sind, das Recht, wieder zu heiraten ohne dabei zu sündigen. Erst im Anschluss wendet sich Paulus detailliert den Jungfrauen zu und gewährt ihnen dieselbe Freiheit.

In der Kirchengeschichte wurden vielfach die bereits erwähnten Scheidungsgründe (siehe Teil 2) ebenfalls als legitime Wiederheiratsgründe geltend gemacht. In Übereinstimmung mit anderen Bekenntnisschriften reformatorischer Tradition (wie bspw. dem Westminster-Bekenntnis von 1647) lehrten darum auch die frühen deutschen Baptisten bzgl. der Wiederheirat:

„In Fällen des Ehebruchs aber und der böswilligen Verlassung glauben wir, dass eine Scheidung und die Wiederverheiratung des unschuldigen Teils, dem Worte Gottes gemäß, stattfinden könne.“(Glaubensbekenntnis und Verfassung der Gemeinden getaufter Christen, gewöhnlich Baptisten genannt von 1847)

Fazit

Die Ehe ist ein vor Gott gültiges lebenslanges Bündnis zwischen Mann und Frau, dessen Auflösung zu Lebzeiten nicht angestrebt werden soll, weil Gott Scheidung hasst und sein ausdrücklicher Wille die gegenseitige Treue und Liebe beider Ehepartner ist. Eine Scheidung ist biblisch dann gerechtfertigt, wenn (a) aufgrund sexueller Untreue der betrogene Ehepartner die zerbrochene Ehe rechtlich auflöst oder (b) der ungläubige Ehepartner die Ehe aus Glaubensgründen nicht weiterführen will. In diesen Fällen ist (nach reiflicher Überlegung und ernsthaftem Bemühen um Versöhnung und Wiederherstellung) eine Scheidung vor Gott moralisch berechtigt (wenn auch nicht verpflichtend) und der verlassene Partner ist frei wieder zu heiraten. Das Eingehen einer neuen Ehe stellt keinen Ehebruch dar, weil die vorherige Ehe aufgrund des Bundesbruchs vor Gott nicht mehr weiterbesteht. Sollte allerdings kein solcher Scheidungsgrund vorliegen, sind Mann und Frau dazu verpflichtet, unverheiratet zu bleiben oder sich zu versöhnen.

[1] Thomas Schirrmacher
[2] Jürgen Kuberski
[3] Gerhard Kittel