Die Gemeinde in der Corona-Gefangenschaft

Die Gemeinde in der Corona-Gefangenschaft

David Blaschke, Pastor und Gründer der Netzwerkgemeinde Dresden, hat auf biblipedia.de einen wunderbaren Artikel verfasst, den ich mit seiner Erlaubnis an dieser Stelle veröffentlichen darf.

Eine beispiellose Spaltung durchläuft unsere Gesellschaft. Doch darin verlaufen die Fronten keineswegs gradlinig. Sie verschwimmen ineinander. Im Nebel der Meinungen gibt es alle möglichen verschiedenen Spielarten. Wir suchen Halt und Sicherheit bei denen, die mit uns übereinstimmen; doch, so scheint es, lauern in jeder Beziehung Stolpersteine oder gar Abgründe. Impfung, Testen, Maske, Inzidenz. Die Themen, die seit fast zwei Jahren unsere Nachrichten und die Politik bestimmen, sorgen vor allem für eines: Streit.

Die Gemeinde in der Gefangenschaft

HERR, bringe unsere Gefangenen zurück wie die Bäche im Negev!
(Psalm 126,4 SLT)

Dieser Nebel macht sich auch in der Gemeinde Jesu breit. Die Spaltung durchzieht den Leib Christi. Pro Impfung – Kontra Impfung. Was für jeden eine persönliche Entscheidung sein sollte, wird zum „christlichen“ Politikum.
Im Eifer des Gefechts wird zu einem der billigsten Tricks gegriffen: Vergeistlichung. Wer sich nicht impfen lässt, liebt den Nächsten nicht. Wer sich impfen lässt, macht mit der Welt gemeinsame Sache oder nimmt gar das Zeichen des Antichristen an. Auch hier nehmen die Begründungen beider Seiten teilweise ein farbenfrohes Spektrum an, was, wenn es nicht so traurig wäre, durchaus unterhaltsamen Charakter hat.

Was beide Seiten in ihrem Eifer nicht bemerken: Sie sind beide gleichermaßen in Gefangenschaft geraten. In die Gefangenschaft der Lieblosigkeit und des Hochmuts. In Scharen wird in diesen Tagen das Volk Gottes in diese Gefangenschaft geführt. Die eigene Überzeugung sehr wichtig nehmend, lassen sie sich vor den Karren des Feindes spannen. Dem „Verkläger der Brüder“ spielen sie in die Hände, indem sie eine persönliche Entscheidung zu einem primären Thema machen, welches somit mehr und mehr als Trennungsgrund aufgeführt wird, weshalb ich mit „denen“ nicht mehr kann.
Und so liegt die Gemeinde in Ketten, unfähig nach dem Auftrag zu handeln, der ihr eigentlich gegeben worden ist.

Dieser Kerker der eigenen Meinung und Selbsterhebung bietet natürlich einigen Komfort. Wer sich selbst darin einsperrt und alle anderen ausschließt, der braucht sich nicht damit auseinandersetzen, was „die andere Seite“ denkt und empfindet. Warum sie zu dem Schluss kommt, zu dem sie gekommen ist. „Was die anderen bewegt und antreibt, kann mir egal sein, denn ich weiß ja die Wahrheit und deshalb bin ich frei.“ Und so nimmt das Drama der Selbsttäuschung seinen Lauf.

Der Schlüssel zum Kerker: Demut

In unserer individualistischen Gesellschaft haben die eigene Meinung und die Meinungsfreiheit einen hohen Stellenwert. Jeder darf sagen und denken was er möchte. Gott sei Dank. Auch in der Gemeinde ist jeder gerufen, selbst zu bewerten und zu prüfen.
Demut bedeutet jedoch, der eigenen Meinung und Überzeugung mit einer gewissen Skepsis gegenüberzustehen. Vielleicht könnte es sein, dass ich in die Irre gehe. Schon oft habe ich allein während der Coronakrise meine Ansichten überdacht und neu sortiert. Gott sei Dank.

Alles Erkennen ist Stückwerk. Auch meines. Wer einen gesunden Selbstzweifel mitbringt, ist auch offen, sich den anderen zu nähern.
Als Gemeinde Jesu muss uns klar werden: Es sind nicht unsere Ansichten, die uns trennen, es ist unsere Haltung. Die Haltung gegenüber den Geschwistern und die Haltung gegenüber unserer eigenen Ansicht.

Gesucht: Menschen, die weinen

Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Wer weinend hingeht und den Samen zur Aussaat trägt, der kommt gewiß mit Freuden zurück und bringt seine Garben.
(Psalm 126,5-6 SLT)

In dieser Zeit braucht die Gemeinde Jesu Menschen, die weinen. Tränen vergießen im Gebet. Tränen über Hartherzigkeit, Selbstüberhebung und Streit. Tränen der Fürbitte und Versöhnung. Tränen nicht aus sentimentalem Harmoniebedürfnis, sondern aus einem Eifer um die Ehre Gottes und den Namen Jesu Christi.
Woran wird jedermann erkennen, dass wir die Jünger Jesu sind? Wenn wir Liebe untereinander haben! (Joh 13,35)
Warum sollen wir eins sein? Damit die Welt glaubt, dass Jesus von Gott gesandt wurde! (Joh 17,21)

Es steht einiges auf dem Spiel: Unsere Einheit, die Sichtweise der Gesellschaft auf die Gemeinde, der Erfolg unserer Evangelisation und nicht zuletzt die Ehre Gottes selbst.

Werden wir die Kurve kriegen? Einlenken bevor der Schaden noch größer wird? Wird die Welt uns sehen als eine Gruppe, die „Herz und Herz, vereint zusammen“ steht und das Evangelium von Christus verkündet? Die Verheißung Gottes für uns steht:

Als der Herr die Gefangenen Zions zurückbrachte, da waren wir wie Träumende. Da war unser Mund voll Lachen und unsere Zunge voll Jubel; da sagte man unter den Heiden: »Der Herr hat Großes an ihnen getan!«
(Psalm 126,1-2 SLT)