In der Vergangenheit habe ich immer wieder Christen erlebt, die auf das Leben in Gemeinde verzichtet haben und als „Einzelkämpfer“ umhergewandert sind. Was mir schon früher eine große Gewissheit war, wird mir mit den Jahren immer gewisser: Jeder Christ ist dazu aufgerufen, Teil einer christlichen Gemeinde vor Ort zu sein. Christ zu werden, bedeutet nicht nur eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus zu bekommen, sondern auch die kompromisslose Eingliederung in das Volk Gottes, in die konkrete Gemeinschaft der Kinder Gottes. Die Christen im Neuen Testament wussten, wer zu ihrer Gemeinde gehört und wer nicht. Christen konnten ihre Verantwortungsträger (Älteste und Diakone) beim Namen nennen. Es wurden gemeinsam wichtige Entscheidungen getroffen und gemeinsam verantwortet. Es wurden Verzeichnisse über fürsorgebedürftige Witwen der Ortsgemeinde geführt. Die meisten Briefe im Neuen Testament sind an lokale Gemeinde gerichtet, die immer wieder dazu aufgefordert wurden gemeinsam durch dick und dünn zu gehen, einander zu tragen, zu ermutigen, zu korrigieren, zu ermahnen und einander zu lieben. Jedes Mitglied einer Gemeinde hat seine Funktion im Organismus, wodurch jeder zur Ergänzung dient und Ergänzung erfährt.
Besonders die letzten Gottesdienste in Emmendingen haben mir wieder gezeigt, dass Gott unsere gemeinsame Anbetung als Gemeinde gebraucht, um seine Ziele zu erfüllen. Ich habe im Sinn wie eine Person zu entscheidenden Durchbrüchen gelangt ist. Andere Personen, die quasi „im Vorbeigehen“ auf den Glauben an Jesus Christus aufmerksam wurden und tief bewegt waren. All diese Dinge wirkt der Heilige Geist, wenn wir uns treffen, um gemeinsam Gott zu ehren und von ihm aus der Bibel zu lernen.
Weil darin so eine Kraft liegt, verwundert es nicht, dass es in der Bibel heißt:
Es ist wichtig, unsere Zusammenkünfte nicht zu versäumen, wie es sich schon einige angewöhnt haben. Wir müssen uns doch gegenseitig ermutigen, und das umso mehr, je näher ihr den Tag heranrücken seht, an dem der Herr kommt. (Hebräer 10,25)
Ich schreibe diesen Artikel aus der Beobachtung heraus, dass etliche Pastoren darüber klagen, dass viele Christen sich aktuell genau das angewöhnen: „den Gottesdienst zu versäumen“. Ich will es einmal deutlich sagen: Ich habe für so ein Verhalten wenig bis gar kein Verständnis. Und hier beziehe ich mich jetzt ausdrücklich nicht auf die Personengruppe, die wegen gesundheitlicher Gründe und der Sorge vor einer Coronainfektion daheimbleiben. Es geht mir um diejenigen, die an sechs Tagen der Woche ihr Leben ganz normal leben (Arbeit, Einkauf, Sport, Schwimmbad, Restaurant, Freunde usw.) und ausgerechnet am Sonntag irgendwelche Gründe finden, den Gottesdienst und die Gemeinschaft mit Glaubensgeschwistern ausfallen lassen zu müssen. Was können die Gründe dafür sein? Mangelnde Flexibilität, geringes Interesse, nervige Umstände, Bequemlichkeit?
Ich kann nicht anders, als in diesen Tagen an die verfolgten Christen in aller Welt zu denken. Immer wieder wird für unsere Geschwister in Not gebetet, dass sie ausharren und ermutigt werden. Wir hören ihre Zeugnisse und sind erstaunt über ihren Glaubensmut, ihre Standfestigkeit und ihren Eifer miteinander den Glauben zu teilen — sie setzen alles daran, nicht als Einzelkämpfer ihr Dasein zu fristen. Aber sind wir uns im Klaren darüber, dass Christen in Untergrundgemeinden ein hohes Wagnis eingehen müssen, um an Gebetsversammlungen teilnehmen zu können? Die Umstände sind teilweise menschenunwürdig und dennoch hindert sie nichts daran, zusammenzukommen und sich gegenseitig zu ermutigen. Aber woher kommt diese Entschlossenheit?
Der Apostel Johannes schreibt (1Joh 4), dass wir einander lieben, weil „Gott uns zuerst liebte“. Wir brauchen die Erfahrung der Liebe Gottes in unseren Herzen, wenn wir einander lieben wollen. Wir müssen davon ergriffen sein, dass Gott „uns geliebt und seinen Sohn gesandt hat als ein stellvertretendes Opfer für unsere Sünden.“ Erst wenn die radikale Liebe Gottes, die wir im Sterben Jesu sehen, uns inspiriert und unsere Herzen in Brand setzt, werden wir einander lieben können. Wir müssen Geliebte sein, wenn wir einander lieben wollen.
Diese Pandemie ist gerade für viele von uns eine Minimalprüfung (gar nicht zu vergleichen mit verfolgten Christen), wodurch unsere wichtigsten Prioritäten im Leben offenbar werden und wir erkennen können, wie sehr die Liebe Gottes unser Herz durchdrungen hat und wir uns von dieser Liebe bestimmen lassen. Wenn wir Christen uns wieder neu an Gottes Liebestat erinnern, dann werden wir alles in Bewegung setzen, um unserer Liebe zu unseren Geschwistern Ausdruck zu verleihen.
Wir haben erkannt, dass Gott uns liebt, und haben dieser Liebe unser ganzes Vertrauen geschenkt. Gott ist Liebe, und wer sich von der Liebe bestimmen lässt, lebt in Gott, und Gott lebt in ihm. (1. Johannes 4,16)
Wir sehen uns im nächsten Gottesdienst!
Pastor Waldemar